Wir eröffnen das Kabinett der logischen Fehlschlüsse mit dem Autoritätsargument. Und wir sprechen auch über andere Autoritätsfragen: Klara Hens erzählt uns von neuen Ansätzen in der Chorarbeit, die das Bild des musikalischen Leiters neu erfinden wollen.
Logikblock zum Nachlesen: Das Autoritätsargument
Kabinett der logischen Fehlschlüsse: Das Autoritätsargument
Ich habe ja schon angekündigt, dass es hier auch um schlechte Argumente gehen soll. Logische Fehlschlüsse können teil eines schlechten Arguments sein, und es gibt schön viele davon. Das Gute an ihnen ist, dass man, wenn man sich mal Gedanken darüber gemacht hat, sie ziemlich schnell erkennen kann – ehrlich gesagt gibt es auch so Spezialist*innen, die sie irgendwann überall sehen, so dass man gar keine vernünftige Diskussion mehr mit ihnen führen kann, weil sie ständig den Namen von irgendeinem Fehlschluss brüllen anstatt sich mit Inhalten auseinanderzusetzen. Solche Typen wollen wir natürlich nicht werden, also schauen wir erst mal, was „logischer Fehlschluss“ eigentlich heißt, und was es nicht heißt.
Dazu greifen wir kurz darauf zurück, was wir über logisch gültige Argumente gesagt hatten: Das sind die Argumente, bei denen wenn die Annahmen, die wir machen WAHR sind, dann muss zwingend auch der Schluss wahr sein. Die Wahrheit der Annahmen überträgt sich also auf unseren Schluss. Es geht keine Wahrheit durch die Schlussfolgerung selbst verloren: Wenn ich als Annahmen nur wahre Behauptungen oben reinstecke, kommt unten auch nur wahres raus. Und was ist ein Fehlschluss? Na das ist eben eine Argumentationsmethode, bei dem es sein kann dass ich oben nur wahre Behauptungen reinstecke, aber das Ergebnis trotzdem falsch ist. (Keine Angst, es kommen gleich Beispiele.) Achtung aber: dass ich einen Fehlschluss benutze bedeutet nicht unbedingt, dass ich inhaltlich unrecht habe – vielleicht gibt es andere gute Gründe oder Beweise für meine Position, aber mir ist eben gerade nur ein schlechtes Argument eingefallen. Oder mein Argument ist inhaltlich sogar gar nicht so schlecht, aber es ist eben nicht logisch zwingend, und deshalb ein logischer Fehlschluss. Ein gutes Beispiel für einen Fehlschluss, bei dem das gut möglich sein kann, ist das Autoritätsargument.
(Beispiel) Meine Hausärztin hat mir gegen mein Halsweh ein homöopathisches Medikament empfohlen.
Also muss an Homöopathie wirksam sein.
Ein erster Test um herauszufinden, ob ein Argument logisch gültig ist, ist nach (theoretisch möglichen) Ausnahmefällen zu suchen. Kann ich mir irgendeinen Fall vorstellen, in dem mir meine Hausärztin ein Medikament empfiehlt und dieses Medikament trotzdem nicht wirksam ist? Na klar, das geht! Meine Hausärztin kann sich irren, oder sie kann zum Beispiel der Meinung sein, dass ich dauernd versuche, mir Medikamente verschreiben lasse, weil ich dann das Gefühl habe, dass ich etwas tue, und sie empfiehlt mir deshalb etwas, was sie zwar nicht für wirksam, aber auch nicht für gefährlich in der Interaktion mit meinen anderen Medikamenten hält, oder sie hat gerade eine verantwortungslose und sadistische Phase und verschreibt absichtlich wirkungslose Medikamente. Bei diesem Test geht es nicht darum, ob diese Szenarien irgendwie wahrscheinlich sind, sondern nur ob es denkbar ist, dass alle Vorannahmen wahr und gleichzeitig die Schlussfolgerung falsch ist. Beim Autoritätsargument ist das ganz klar der Fall.
Nur weil jemand als Autorität angeführt wird, beweist das noch lange nicht, dass er oder sie Recht hat. Im schlimmsten Fall wird jemand als Autorität herangezogen, der gar kein Spezialist für das Thema ist, worum es gerade geht – ein berühmtes Beispiel ist „Einstein hat auch an Gott geglaubt“ (Wobei es auch Leute gibt, die in der Physik nach Gottesbeweisen suchen, dann bräuchten wir ein anderes Beispiel), oder es wird jemand als Autorität zitiert, von dem man gar nicht so genau weiß, wer das ist, ob es ihn wirklich gibt, und ob wir ihn als Autorität anerkennen sollten. Zum Beispiel das in der Werbung beliebte „Von Zahnärzten empfohlen“ (Wer sind diese Zahnärzte? Sind es viele? Haben Sie Studien durchgeführt? Welche Frage haben sie überhaupt gestellt bekommen? Fragen über Fragen!)
Also Probleme gibt es genug mit dem Autoritätsargument. Warum werden sie trotzdem so oft benutzt und warum wirken sie so überzeugend?
Das hat eigentlich sehr gute Gründe. Den allergrößten Teil unseres Wissens haben wir nämlich nicht selbst überprüft. Ich meine wirklich selbst an der Wirklichkeit überprüft und getestet – googlen gilt nicht!Das geht nämlich überhaupt nicht. Wenn wir uns nicht sehr stark auf die Erkenntnisse anderer Menschen, denen wir vertrauen, verlassen würden, könnten wir nichts voneinander lernen. Wir könnten nichts über die Welt erfahren, was nicht unmittelbar teil dessen ist, was wir selbst erleben. Es gäbe überhaupt kein gemeinsames Wissen, es gäbe keinen Fortschritt in der Wissenschaft, und niemand könnte je neue Entdeckungen machen, weil jeder erst mal wieder die Entdeckungen selbst machen müsste, die alle Menschen vor ihm auch schon gemacht haben. Ohne das Vertrauen, dass wir uns auf Erkenntnisse anderer Menschen verlassen können, wären wir nie von den Bäumen heruntergeklettert.
Und auch auf die Lebenswirklichkeit eines einzelnen Menschen bezogen ist es überlebenswichtig, in sehr vielen Fallen auf Autoritäten zu verlassen – das geht schon mit den eigenen Eltern los, die Am Anfang Autorität für alles mögliche sind und wenn das Kind noch klein ist wirklich sehr oft recht haben. Wir lernen also von Anfang an, dass es sehr wichtig ist sich den Wissensvorsprung anderer Menschen zunutze zu machen. Umgekehrt stellen wir auch immer wieder fest, dass „die Erwachsenen“ eben nicht immer Recht haben, und es ganz wichtig ist, Autoritäten zu hinterfragen. Der Umgekehrte Fall ist nämlich auch ein Fehlschluss: Nur weil ich kein Experte bin, heißt das nicht automatisch, dass ich Unrecht habe. Ich muss nicht erst mal Historikerin werden, um zu wissen, dass der Holocaust tatsächlich stattgefunden hat.
Übrigens sollte man sich nicht täuschen lassen: es gibt auch schlechte Autoritätsargumente für Positionen, die man für sehr vernünftig hält. Mein Browser verrät mir zum Beispiel gerade, dass Sebastian Vettel sich für ein Tempolimit ausspricht. Meine erste Reaktion darauf ist „Jawohl!“, aber natürlich ist die Tatsache dass irgendein Rennfahrer etwas über die Straßenverkehrsordnung sagt kein gutes Argument für eine Gesetzesänderung.
Prinzipiell ist es für die Gültigkeit eines Argumentes erst mal völlig irrelevant, von wem es vorgebracht wird. Wenn wir wirklich gute Argumente finden wollen, müssen wir zwischen den beiden berechtigten Interessen „Wissensvorsprung nutzen“ und „Irrtümer erkennen“ abwägen.
Und wie machen wir das sinnvollerweise? Welche Qualitäten muss also ein brauchbares Autoritätsargument haben? Leider muss man dazu ein bisschen genauer hinschauen. Wir müssen uns zum Beispiel fragen: Erkenne ich die genannte Autorität eigentlich als vertrauenswürdig an? Akzeptiere ich, dass sie weiß, wovon sie spricht und ist sie glaubwürdig oder handelt es sich wahrscheinlich um eine schlecht ausgebildete oder verlogene Person? Ist sie wirklich eine Autorität auf dem Gebiet, um das es gerade geht, oder werde ich zum Beispiel aufgefordert zu glauben, was ein Ernährungsberater über Krebs sagt? Ist die Person objektiv oder verfolgt sie gerade auf diesem Gebiet Eigeninteressen, wie zum Beispiel in einer Studie zum Klimawandel, die von der Erdölindustrie bezahlt wird? Kann ich mich darauf verlassen dass die genannte Autorität überhaupt richtig zitiert wird? Ist das Zitat wirklich von der betreffenden Autorität? Und wenn ja, steht es in dem Kontext, in dem es gerade zitiert wird? Gibt es andere Autoritäten auf diesem Gebiet, die die gegenteilige Position vertreten und wenn ja, wer hat dann die besseren Argumente?
Wenn alle diese Punkte zufriedenstellend erfüllt sind, handelt es sich immer noch nicht um ein logisch zwingendes Argument, aber möglicherweise trotzdem um ein sehr gutes Argument, das die These, die damit gestützt werden soll, zumindest wahrscheinlich macht.
Es ist sicher kein Zufall, dass diese eine ernsthafte Überprüfung von Argumenten komplizierter ist,als twittertaugliche Diskussionen nach dem Modell: „Aber mein Papa hat gesagt…“ gegen „Fehlschluss!“ Sie bringt aber erstens Spaß und uns zweitens der Wahrheit wahrscheinlich näher.
Wenn ihr Lust habt, das ein bisschen zu üben, sammelt doch mal ein paar Beispiele für gute und schlechte Autoritätsargumente und überlegt was ihr daran gut oder schlecht findet. Und lasst euch dabei nicht von eurer eigenen Meinung reinlegen!